Der Begriff „Slowbalization“ – eine Verbindung aus den Wörtern „slow“ und „globalization“ – beschreibt eine allmähliche Verlangsamung des Wachstums der grenzüberschreitenden Ströme und trifft möglicherweise, so die Überlegung einiger Beiträge in „Top of Mind“, die jüngsten Trends im Waren-, Kapital- und Personenverkehr besser als der Begriff Deglobalisierung. Sollte sich dieser „Slowbalization“-Trend fortsetzen oder sogar noch verstärken, könnte dies die Wahrscheinlichkeit einer höheren Inflation als vor der Pandemie verstärken.

Niedriglohnimporte und Inflation
Um die möglichen inflationären Auswirkungen der Verlangsamung der Globalisierung bzw. – hypothetischer – der Deglobalisierung zu ermitteln, untersuchen die Ökonomen von Goldman Sachs zunächst, wie sich die rasche Industrialisierung der Schwellenländer in den letzten zwei Jahrzehnten auf die außerhalb der USA produzierten Waren ausgewirkt hat. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die erhöhte Importkonkurrenz durch Niedriglohnländer signifikante Auswirkungen auf Importpreise und heimische Produzentenpreise hat, wobei die Preisrückgänge für Importe aus China im Vergleich zu anderen Niedriglohnländern etwas größer sind.
Anschließend gilt es, diese Auswirkungen auf die Import- und Erzeugerpreise in Auswirkungen auf die Konsumentenpreise (US-Kern-PCE*) zu übersetzen, indem der Import- und der inländische Produktionsanteil von Kerngütern betrachtet werden. Ferner wird die Tatsache genutzt, dass Kerngüter 25 bis 30 Prozent der gesamten PCE-Konsumausgaben ausmachen. Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse, dass ein Anstieg der Importkonzentration aus Niedriglohnländern um 1 Prozentpunkt die US-Import- und Erzeugerpreise um etwa 4 Prozent senkt, was wiederum die Konsumentenpreise für Kerngüter um 2 Prozent senkt.
Die Auswirkungen der Deglobalisierung – drei Szenarien
Auf der Grundlage dieser Effekte betrachten die Ökonomen die inflationären Auswirkungen von drei möglichen Deglobalisierungsszenarien. Das erste Szenario einer „pauschalen Deglobalisierung“ geht von einem Rückgang des Handels zwischen den USA und Niedriglohnländern um 25 Prozent aus, was einen Anstieg des Preisniveaus für Kerngüter um 7,8 Prozent und einen Anstieg der Kernkonsumentenpreise von insgesamt um 2,0 Prozent zur Folge hat. Ein zweites Szenario („China-Reshoring“) geht davon aus, dass die US-Einfuhren aus China um 50 Prozent zurückgehen, während der Handel mit allen anderen Niedriglohnländern stabil bleibt, was einen Anstieg des Kern-PCE um 1,9 Prozent bedeutet. Und ein drittes Szenario geht davon aus, dass die Einfuhren aus China ebenfalls um 50 Prozent zurückgehen, aber durch den Handel mit anderen Niedriglohnländern über eine „vollständige Handelsumlenkung“ ausgeglichen werden, was einen moderateren Anstieg des Preisniveaus des Kern-PCE um 0,6 Prozent bedeutet.
Unter der Annahme eines fünfjährigen Übergangszeitraums für jedes Szenario schätzen die Ökonomen von Goldman Sachs einen Anstieg der jährlichen Inflation für wichtige Konsumgüter um 1,6 Prozentpunkte im Szenario „Pauschale Deglobalisierung“, 1,5 Prozentpunkte im Szenario „China-Reshoring“ und nur 0,4 Prozentpunkte im Szenario „Vollständige Handelsumlenkung“.
Im Vergleich dazu schätzten sie, dass der Importwettbewerb die jährliche Kerngüterinflation für Waren zwischen 1998 und 2009 und zwischen 2009 und 2019 um 1,7 bzw. 1,3 Prozentpunkte gesenkt hat. Und für die gesamte Konsumentenpreissteigerung sehen die Experten sowohl im Szenario „Pauschale Deglobalisierung“ als auch im Szenario „China-Reshoring“ einen jährlichen Anstieg von 0,4 Prozentpunkten, der deutlich größer ist als der Anstieg der Kerninflation im Szenario „Vollständige Handelsumlenkung“ mit 0,1 bis 0,15 Prozentpunkten.
Auch wenn diese Schätzungen im Vergleich zu den heutigen rekordhohen Inflationszahlen gering sind, so ist der potenzielle Anstieg im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Jahrzehnten im Kontext des Inflationsziels der Fed von 2 Prozent doch recht bedeutsam.
Langsame Annäherung an höhere Inflation
Das Ergebnis sind zwei Schlussfolgerungen: Erstens sind die „Slowbalization“ und die Aussicht auf eine Deglobalisierung neben der beträchtlichen Zunahme der Beschäftigungslücke in den G10-Ländern, den höheren Inflationserwartungen und dem Übergang zu einer Netto-Nullzinspolitik ein weiterer Grund, der für die Zukunft eine etwas höhere Inflation als vor der Pandemie und damit auch höhere Nominalzinsen erwarten lässt. Aber zweitens ist es unwahrscheinlich, dass ein Rückgang des Handels mit bestimmten Partnern zu einem erheblichen Inflationsdruck führt, wenn eine Umlenkung des Handels möglich ist und eine schrittweise Übergangsphase genügend Zeit für den Aufbau alternativer Lieferketten bietet.
* Der „Personal Consumption Expenditures Price Index“ (PCE) erfasst Preisveränderungen bei Gütern und Dienstleistungen. Der PCE schließt saisonal schwankende Produkte wie Nahrungsmittel und Energie aus, um eine genauere Beobachtung zu erhalten. Für die US-Notenbank Fed ist der PCE-Kerndeflator ein wichtiger Indikator für die Inflation.
Quelle: Top Of Mind – (De)Globilazation ahead?, „Deglobalization and Inflation“, veröffentlicht am 28. April 2022 von Goldman Sachs Global Macro Research, Autoren: Daan Struyven, Dan Milo, Goldman Sachs. Weitere Quellen für PCE- oder BIP-Angaben: IWF, Weltbank.
Bitte beachten Sie unsere Hinweise zu Risiken, Disclaimer und Impressum, welche hier eingesehen werden können.
Fotonachweise: Adobe Stock – Bild 1: Funtap, Bild 2: zimmytws